Wo die Elfen und Trolle wohnen
Island, das Land aus Feuer und Eis, ist im tiefen Winter ein Erlebnis, das man nicht verpassen will. Diese Jahreszeit ist an Magie kaum zu überbieten.
Fabia Bernet, Journalistin für die Coopzeitung, hat unsere Island Rundreise im Februar 2022 begleitet. Der vielseitige Reisebericht ist im Sonderheft Reisen der Coopzeitung am 25. Oktober 2022 erschienen.
Mystische Stimmung am schwarzen Strand mit beeindruckenden Basaltsäulen
© Icelandic Explorer
Landeanflug auf Reykjavik (ISL) im Februar. Der Blick aus dem Fenster ist ein Blick ins Nirgendwo. Alles ist weiss, die Landschaft liegt unter einer Schneedecke verborgen. Die kalte Schicht verdeckt auch, was früher heiss und flüssig war: die Lavafelder, die die Strassen säumen. Einzig das eisige Meer und die kilometerlangen schwarzen Strände brechen die Monochromie.
Island hat in jeder Jahreszeit seinen ganz eigenen Reiz, doch der Winter fühlt sich besonders speziell an. Es ist ruhig, es ist, als hätte man die Insel im Winterschlaf für sich alleine. 360 000 Menschen sind es, die Island ihr Zuhause nennen. Zweimal so viele wie die Stadt Basel – aber auf einer Fläche, die zweieinhalbmal so gross ist wie die Schweiz. Trotz der wenigen Menschen haben die Isländerinnen und Isländer aber einige Eigenarten, die manche Reisende ungewöhnlich dünken dürften.
Sechs Monate für die Namensfindung
Zwar existiert beispielsweise in der isländischen Sprache die «Sie»-Form durchaus, genutzt wird sie aber eigentlich nie. In Island ist man per Du. Das führt dazu, dass man auch im Telefonbuch zuerst nach dem Vornamen sucht. Um dann auch tatsächlich die richtige Guðrún oder den richtigen Jón zu finden, ist das Wissen um den Namen des Vaters elementar. Heisst der Vater der beiden Gunnar, sucht man nach Guðrún Gunnarsdóttir oder Jón Gunnarson. Bis isländische Babys allerdings überhaupt zu ihrem Vornamen kommen, können gut und gerne einige Monate vergehen. Eltern haben ein halbes Jahr Zeit, um sich für einen passenden Namen zu entscheiden. Nicht nur in Bezug auf die Namensgebung hat Island seine eigenen Traditionen und Regeln. Sagen und Geschichten sind in der isländischen Gesellschaft tief verwurzelt. So auch der Glaube an Elfen und Trolle. Und, ganz ehrlich? Blickt man in die beeindruckende Landschaft und die unendliche Weite: Man kann es nachvollziehen. Eine Legende besagt, dass Trolle – riesige, hässliche Gestalten – in den Bergen leben und in der Nacht ihr Unwesen treiben. Schaffen sie es nicht zurück in die Berge, bevor der Tag anbricht, erstarren sie zu Stein. Tatsächlich wirken einige der schneebedeckten Hügel wie kauernde Giganten im ewigen Schlaf.
Tanzende Lichter
In der Nacht sind in Island aber nicht nur Trolle unterwegs. Auch am Himmel entdeckt man mit etwas Glück Zauberhaftes: die Nordlichter. Die günstigste Zeit, um das natürliche Lichtspektakel zu sehen, beginnt im Oktober und endet im März. Die Bilder davon kennt man: magisch und betörend. Doch die Emotionen, wenn man sie dann tatsächlich vor den eigenen Augen tanzen sieht, sind noch einmal ungleich überwältigender. Vom «Nordlicht-Alarm», den es in vielen Hotels gibt, aus dem Schlaf gerissen, dick eingepackt draussen stehend, sind die Nordlichter zwar oft nur schwach und eher gräulich wahrnehmbar. Doch das tut der Magie des Moments keinen Abbruch – auf dem Bildschirm der Kamera strahlen sie dafür umso mehr. Das Wort Magie umschreibt auch eine andere typisch isländische Situation. Dafür reist man nach Laugarvatn im Südwesten Islands. Dort lebt Sigurður «Siggi» Rafn Hilmarsson (52) und bäckt Brot. Das alleine ist interessant und wohl auch schmackhaft, damit es spektakulär ist, braucht es aber mehr.
Siggi – in Island spricht man sich ja per Du an – bäckt sein süsses Roggenbrot nicht im Ofen, sondern vergraben in vulkanischem Boden. Eine geothermische Bäckerei sozusagen. Den Teig legt er dazu in einen Topf, den er dann im schwarzen Sand vergräbt. 24 Stunden später holt er ihn wieder heraus. Das noch warme Brot isst man dann gerne mit frischer, aufgeschlagener Butter und geräuchertem Fisch.
Siggi – der sein Brot in seiner goethermischen Bäckerei bäckt.
Abenteuer im Winter
Die geothermale Energie ist die wichtigste Energiequelle des Landes. Fast 90 Prozent aller Haushalte versorgt sie mit Wärme. Im Grossraum Reykjaviks, wo ungefähr zwei Drittel aller Isländerinnen und Isländer leben, werden gar Strassen und Trottoirs beheizt. So entfällt mancherorts das lästige Schneeschippen komplett. Auch heisse Quellen, in denen man baden kann, gibt es im ganzen Land. Gerade im Winter, wenn die Kälte klirrend ist, eine absolute Wohltat.
Apropos: Im Winter kann man sich fast nicht zu warm anziehen. Wenn man glaubt, volumenmässig mit einem Michelin-Männchen zu konkurrieren, zieht man am besten noch eine weitere Schicht über. Gerade auch, weil das Wetter schnell umschlägt und Winde, die übers Land peitschen, keine Seltenheit sind. Auch wenn in der kältesten Saison mehr Flexibilität gefragt ist, weil Strassen wegen des Schneefalls gesperrt sein können oder ein Pass geschlossen ist: Island ist im Winter ein Erlebnis, das an Magie kaum zu übertreffen ist.
Ein Stopp bei einem Geysir darf auf der Island-Rundreise auf keinen Fall fehlen.
Mystische Nordlichter
Nordlichter und damit verbundene Sagen gibt es nicht nur in Island. An der schwedischen Küste erzählte man sich, dass die Nordlichter Reflexionen von Sonnenstrahlen sind, die sich an Heringen spiegeln. Ein gutes Zeichen für Fischerinnen und Fischer also. In Grönland glaubte man daran, dass die tanzenden Lichter die Seelen von verstorbenen Kindern sind, die nun am Himmelszelt spielen. Wenn sie tanzen, sind die Geister fröhlich, bleiben sie jedoch aus oder statisch, sind sie traurig; die Menschen pfeifen oder klatschen dann, um sie aufzuheitern. In Finnland gibt es die Sage, dass die Nordlichter entstanden, als ein Polarfuchs durch den Schnee rannte, sein Schwanz diesen aufwirbelte und so Funken in den Himmel katapultierte. In Island hingegen warnt man Schwangere davor, in die Nordlichter zu schauen, weil das Kind sonst schielen könnte. Allerdings sollen die Lichter auch Geburtsschmerzen lindern. Und erscheinen sie im Spätwinter, kündet das noch einmal viel Schnee an.
Die Nordlichter-Saison beginnt in Island im Oktober und endet im März
© Icelandic Explorer
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